Bestimmt weisst du, dass man Kindern und Betrunkenen nachsagt, stehts ehrlich ihre Wahrheit und eigene Meinung zu sagen ganz egal wie unpassend dies in einer Situation scheint. Dasselbe gilt für Autisten. Für mich bedeutet diese Tatsache aus eigener Erfahrung Fluch und Segen zugleich.
Bereits als kleines Mädchen habe ich auch im Thema Ehrlichkeit meine Andersartigkeit erkannt. Eine Lange Zeit meines Lebens habe ich dies als eine Tugend, ja gar als eine Stärke meines Charakters betrachtet. Mit zunehmenden Erfahrungen der Ablehnung von anderen und einer teils fühlbaren Angst meines Gegenübers vor meinen ehrlichen Worten. Viele Verletzungen der Egos anderer Menschen und darauf folgender starker Reflektion meiner Selbst hat mich über die Jahre gelehrt, meine Meinung und Probleme mit anderen viel gezielter und Diplomatischer auszudrücken worauf ich oft stolz bin und auch erleichtert. Weil seien wir mal ehrlich, auch wenn wir in unseren Augen nur Fakten an und aussprechen, ist das Gefühl andere damit zu verletzen nicht schön.
Es ist eine Farce und hat mich oft im Leben zur Verzweiflung geführt, dass zwar jeder Mensch sagt „Ich schätze Ehrlichkeit und möchte nicht belogen werden“ in der Realität aber meist nicht konstruktiv damit umgehen kann mit einer unvorhergesehenen Wahrheit über sich selbst oder eine Situation konfrontiert zu werden.
Im Bereich Autismus und schonungsloser Ehrlichkeit gibt es also sowohl für den Autisten als auch für die Angehörigen nur zwei Möglichkeiten mit dem Thema umzugehen.
Entweder der komplette soziale Rückzug des Autisten und das abwenden des Umfeldes oder aber die viel wertvollere und sogleich schwierigere; Schritt für Schritt zu lernen mit dieser Eigenschaft umzugehen.
Was kann dies für Angehörige bedeuten?
Erst einmal zu erkennen und tief zu verinnerlichen, dass hart wirkende Worte und Aussagen deines Autisten weder „hart“ noch „Böse“ gemeint sind, noch das ansprechen von Schwierigkeiten eine Form von sticheln ist. Wenn man jegliche persönliche emotion einmal aus so einer Situation entzieht, bleibt eine sachliche Ebene. Zu begreifen, dass dein Autist meist auf natürlicher Weise genau auf dieser Ebene kommuniziert und dich weder verletzen n ochb schlecht fühlen lassen möchte ist die einzige Möglichkeit damit umgehen zu lernen. Es ist für Menschen mit autistischer Wahrnehmung wirklich harte innere Arbeit zu lernen in einem Gespräch, vor allem bei kritischen Themen den „richtigen“ Ton oder einfach den Ton zu treffen und die Worte zu finden welche von einem Neurotypischen Menschen gewünscht oder erwartet sind.
Natürlich liegt es am Autisten soziale Regeln zu lernen und achtsam dafür zu werden andere Menschen nicht mit Worten zu verletzen. Auch wenn diese aus autistischert Sicht nur der Wahrheit entsprechen.
Als Angehöriger, Freund, Partner oder auch nur Bekannter eines Autisten, hast du Einfluss auf die Lernvortschritte deines Autisten. Wenn du versuchst darauf zu achten dich weniger emotional sondern mehr sachlich verständlich auszudrücken.
Nach einem akuten Fall von kommunikativer Verletzung, kann ich dir nur rarten, einen kurzen Moment des Rückzuges zu nehmen um deine Emotionen wieder zu verringern und danach die Stärke zu haben deinem Autisten das für dich offensichtliche zu erklären.
Was für dich emotional offensichtlich ist, ist für deinen Autisten ein Teil einer fremden Sprache welche er sich erst mühsam erarbeiten muss. Für sachliche Erklärungen von ausgelösten Gefühlen ist dir dein Autist vielleicht überaus dankbar. Da viele kommunikative Schwierigkeiten dem Menschen mit Autismus oft ein Rätsel bleiben ohne deine logische Erklärung dazu.
Du als Angehöriger darfst jedoch nicht erwarten, dass dein Autist nach einem „Aha“ Moment plötzlich immer emotional kommuniziert, da diese Ebene der Kommunikation für Autisten nicht natürlich ist und immer nur eine erlernte „Fremdsprache“ bleiben wird und niemals zur „Muttersprache“ werden kann. Zwar annähernd aber in Stresssituationen wird die natürliche Form der Kommunikation immer die automatische Wahl sein.
Damit meine ich, egal wie sehr sich dein Autist auch anstrengen mag und wie gut die Kommunikation in entspanntem Umfeld mit der Zeit werden kann, in kritischen, emotionalen oder unvorbereiteten Situationen wird es immer wieder passieren, dass du mit der ungefilterten Meinung oder Wahrheit umgehen musst. Es Bedarf also die innere Arbeit beider Parteien.
Um besser damit umzugehen hilft es dir vielleicht, die Wahrhaftigkeit dieser auf Logik basierten, ehrlichen Kommunikation schätzen zu lernen und dir bewusst zu machen, dass der Satz „schöne Worte sind nicht ehrlich und ehrliche Worte sind nicht schön“ auf der kommunikations Ebene von Autisten nicht gilt. Die ehrlichen Worte eines Autisten sind nicht böse gemeint und ohne Hintergedanken mit der Intention absichtlicher Verletzung und Manipulation sondern einfach die sachliche Einschätzung des Autisten. Gleichzeitig kannst du dir sicher sein, dass jedes schöne Wort und Kompliment eines Autisten genauso ehrlich gemeint ist. Was ich persönlich in einer Welt voll Heuchelei als wunderschön empfinde.
Was bedeutet es für einen Autisten emotionale Kommunikation zu lernen?
Menschen mit autistischer Wahrnehmung können durchaus sehr stur sein. Sie halten an einmal getroffenen Meinungen, erkannten Wahrheiten und erlangten Überzeugungen fest. Gerade weil diese von ihnen lange logisch und sachlich geprüft und erarbeitet worden sind.
Möchtest du als Autist aber lernen, andere nicht mehr ständig vor den Kopf zu stossen und dadurch Ablehnung und sogar Hass zu erleben, ist es unabdingbar, gerade in zwischenmenschlichen Beziehungen in der Kommunikation nicht mehr nur die sachlich logische Ebene sondern auch die emotionale Ebene mit zu erfassen.
Sprich, die Bedürfnisse deines Gesprächspartners. Für Neurotypische Menschen ist Kommunikation in erster Linie emotionaler Austausch. Sich gesehen und verstanden zu fühlen bedeutet ihnen sehr viel mehr als Informationsaustausch und sachliche Problemlösungen.
Ich selbst habe heute im Alter von 35 Jahren immer noch oft grosse Mühe damit, mit der in meinen Augen Irrationalität und des sich selber im Weg stehen vieler Menschen umzugehen. Wenn ich persönlich mit einer unangenehmen, mir bisher unbewussten Wahrheit über mich selbst konfrontiert werde, überwiegt bei mir stehts die Dankbarkeit für einen Hinweis zur Verbesserung meiner Selbst als das Gefühl der Beleidigung oder Verletzung ,meines Egos. Solange ich die Sachlichkeit einer Aussage wahrnehme.
Trotzdem bleibt mir, wie jedem Autisten nichts anderes übrig als zu akzeptieren, dass die Mehrheit der Menschen ihren Gefühlen viel stärker ausgeliefert sind als ich.
Möchte ich also mit diesen Zerbrechlichen Egos der Menschen die mir wichtig sind umgehen lernen und die Beziehungen zu ihnen weiter wachsen lassen, muss ich an meiner Art mit ihnen zu kommunizieren arbeiten ohne dabei mich selbst zu verlieren.
Dabei gehe ich wie folgt vor:
Ich mache mir klar was ich der entsprechenden Person sagen möchte und schreibe dies für mich auf. Danach lasse ich meine eigenen Worte auf mich wirken und überlege mir genau wie ich gewisse Dinge „sanfter“ oder „weicher“ formulieren könnte, um das Risiko zu vermeiden die andere Person zu verletzen ohne jedoch die Grundaussage völlig zu verschleiern.
Stell dir als Beispiel folgende fiktive Situation vor:
Eine Freundin von dir klagt dir ihre Unzufriedenheit mit ihrem Gewicht und sagt dir sie fühlt sich dick und hässlich.
Du weisst über sie jedoch, dass sie ausser klagen und jammern keine Veränderung ihres Lebensstils vornimmt um eine Lösung zur Gewichtsabnahme zu finden. Sondern sich ungesund ernährt und vielleicht sogar zum unbewussten Frustessen neigt. Dir ist auch bewusst das deine Freundin körperlich nicht sehr aktiv ist und auch keine Anstalten zu Sport oder einfach mehr Bewegung im Alltag unternimmt. Da du deine Freundin magst, machst du dir vielleicht sogar Sorgen um ihre Gesundheit.
Dein erster ehrlicher Impuls wäre darum vielleicht der Person zu sagen :
„Solange du zu faul bist mehr Kalorien zu verbrennen und die viel zu vielen die du durch deine schlechte Ernährung aufnimmst zu mindern hast du keine Chance abzunehmen sondern wirst stetig dicker und unglücklicher.“
Das ist auf der Sachebene wahr.
Trotzdem wird deine Freundin dir für eine solche Aussage nicht danken, dass du sie „aufgeweckt“ hast und motiviert sein ihren Lebensstil zu ändern.
Viel wahrscheinlicher ist es, dass deine Freundin mit dem Klagen über ihr Gewicht bei dir eigentlich eine Beschwichtigung erwartet hat. Sie wollte gesehen und getröstet werden. Insgeheim hat sie sich wahrscheinlich gewünscht, dass du etwas Antwortest wie :
„Ach, es ist doch überhaupt nicht schlimm das du ein wenig zugenommen hast. Ich mag dich so wie du bist und du bist Wunderschön.“
Natürlich löst so eine Aussage nicht ihre Probleme und natürlich ist (Wenn die Person tatsächlich Probleme mit Übergewicht hat) eine solche Antwort geheuchelt und nicht im Kern wahr. Auch wenn du die Person unabhängig vom Gewicht von Herzen magst, ist es eine Wahrheit, dass Übergewicht mehr gesundheitliche Probleme mit sich bringt als Normalgewicht. Eine solche „liebe“ Antwort würde deine Freundin zwar gerne hören, doch würde es sie eher noch in ihrem unbewussten Lebensstil bestärken.
Als Autisten wollen wir nicht lernen zu heucheln und zu lügen nur des lieben Friedens willen. Aber wir möchten lernen ehrlich und trotzdem empathisch zu kommunizieren.
Eine mögliche Antwort für eine solche Situation wäre also:
„Ich mag dich sehr egal wie dein Gewicht ist weil ich deine Seele immer wunderschön finde, aber ich merke, dass du mit deiner Gewichtszunahme unglücklich bist. Vielleicht könntest du ja genauer darauf achten, welche Veränderungen in deinem Lebensstil dir helfen können dich wieder wohl in deinem Körper zu fühlen. Ich bin mir sicher, wenn es ein Ziel von dir ist wieder abzunehmen, bist du auch stark genug es zu erreichen. Wenn ich dich irgendwie dabei unterstützen kann, z.B. dich zum Sport zu begleiten, dann lass es mich wissen.“ (Natürlich nur wenn du auch bereit bist dein Angebot einzuhalten)
Mit einer solchen Antwort bringst du deiner Freundin emotionale Wertschätzung gegenüber ohne die Problematik des Übergewichtes zu negieren und vielleicht kann dies die Person sogar darin unterstützen die Motivation zum handeln zu finden. Jedoch ist diese Entscheidung der Person zu überlassen und jede weitere Einmischung mit ungebetenen Ratschlägen wäre über griffig von dir auch wenn gut gemeint.
In der Theorie, vorbereitet und nicht spontan, lässt sich neurotypische Kommunikation die doch Zielführend ist, gut erlernen auch wenn es Zeit und Übung benötigt.
In spontanen, emotional aufgeladenen Situationen in denen du direkt reagierst, wirst du jedoch immer in deiner „Muttersprache“ antworten. Das heisst, zu direkt und Sachlich. Was vom anderen als angriffig, gemein, stichelnd, oder bewusst verletzend interpretiert werden kann.
Um mögliche kommunikative Fettnäpfchen in schwierigen Situationen zu vermeiden, habe ich zurzeit noch folgende Strategien:
Ich versuche direkte emotionale Streitsituationen zu vermeiden. Da diese jedoch oft unvorhergesehen entstehen gibt es die Möglichkeit deinem Gegenüber zu sagen „Ich brauche erst ein wenig Zeit, um über das was du gesagt hast nachzudenken, damit ich wirklich auf dich eingehen kann“ wenn es aber schon zu spät dafür ist und mir dann doch mal etwas rausgerutscht ist, was ich durch besonnenes vorbereiten so nicht gesagt hätte, nutze ich im nachhinein oft die schriftliche Kommunikation per Textnachricht. So fällt es mir persönlich viel leichter als bei einer Sprachnachricht wo zusätzlich zu den richtigen Worten noch der richtige Ton beachtet werden muss um eine Situation nicht noch mehr zu verschärfen und statt zu verbessern sogar noch zu verschlimmern.
Ich verstehe sehr gut, wenn auch dir das ewige erklären deiner Worte zuwider ist. Das du genug davon hast, dass viele deiner Aussagen statt sachlich angenommen, für dich merkwürdig interpretiert werden und dir sogar Böswilligkeit unterstellt wird.
Ich verstehe, dass nach Situationen die sehr unglücklich verlaufen ein totaler Rückzug eine angenehmere Option ist. Was bei gewissen Menschen, welche gar keine Selbstverantwortung übernehmen möchten und ständig nach einem Schuldigen für ihre eigenen negativen Gefühle suchen vielleicht sogar die beste Entscheidung ist.
Doch glaube ich fest daran, dass wir Autisten auch unsere neurotypischen Mitmenschen zu Wachstum, mehr Bewusstheit über sich selbst und eigener Persönlichkeitsentwicklung anregen können. Gegenseitiges Verständnis ist die Grundlage jeder zwischenmenschlichen Beziehung.
Das heisst, solange du dein Bestes gibst dich anderen zu erklären, werden diese immer den Schritt auf dich zu gehen und sich selber dabei überwinden. Diejenigen welche dazu einfach nicht in der Lage sind, werden es auch in Zukunft nicht sein und die Beziehungen zu ihnen immer eine grössere Belastung als Bereicherung für dich sein.
Wenn festhalten zur Qual wird – führt loslassen ins Glück.